Im Entdeckermodus

Trompete in Bewegung: Blech trifft Feldenkrais

Quelle: Üben und Musizieren, Ausgabe 1/ 16

Das Entdecken blastechnischer und musikalischer Sachverhalte im Trompetenunterricht war Inhalt von fünf Workshops mit TrompetenschülerInnen im Alter von fünf bis 20 Jahren, die Regina Heng gemeinsam mit der Feldenkrais-Pädagogin Annegret Lucke abgehalten hat.
Ein Erfahrungsbericht.

Lernen durch Ausprobieren und Entdecken ist lebendig, spannend, sehr nachhaltig und bringt SchülerInnen in Bewegung – korperlich und geistig. Bewegung, Erforschen, Entdecken, Wege suchen und selbst Lösungen finden sind die methodischen Leitgedanken unserer Unterrichtsgestaltung. Nur was man selbst gespürt und entdeckt hat, hat man auch wirklich verstanden!

In einer Kombination aus Trompetenunterricht und Feldenkraislektionen können die SchülerInnen die Zusammenhänge von Körperhaltung, Atmung, Spielgefuhl und Klang erforschen und erkennen, auf welche Weise ihr Trompetenspiel mühelos, leicht und klangvoll wird. In den Feldenkraislektionen erfahren sie mehr uber die Bewegungszusammenhange ihres Körpers.

Nur was ich wahrnehme, kann ich verandern: Beim Entwickeln von Ansatz, Atmung und Blastechnik ist die Schulung der Wahrnehmung der Schlussel zum Erwerb neuer Fahigkeiten. Durch Fragen rege ich die ScülerInnen z. B. an zu spüren, was die Zunge macht – Welche Form hat sie? Wie liegt sie im Mund? Wie sind ihre Bewegungen? –, wie sich dieLippen anfühlen – Wo vib rieren sie? Ist es an beiden Lippen gleich? – und wie der Ton klingt: Klingt es bei allen gleich? Gibt es Unterschiede?

Die SchülerInnen merken, dass sich durch eine Übung etwas verändert, dass es danach besser klingt und leichter geht; sie spüren, was sich verändert hat, und erkennen so die Zusammenhange zwischen Spielgefühl und Klang. Immer geht es darum, den organischsten, ökonomischsten Weg zu finden.

Anders ausgedruükt: Spiel- und Bewegungsabläufe sollen von minimalem Aufwand mit hoher Effizienz gekennzeichnet sein.

HALTUNG – ATMUNG – SPIELGEFÜHL – KLANG

Muhelose Bewegungen und ein freier, durchlässiger Körper sind die Voraussetzungen für Klangentfaltung und Leichtigkeit im Spiel. Eine gut ausbalancierte Körperhaltung ist wichtig, damit die an der Atmung beteiligte Muskulatur frei arbeiten kann. Deshalb stellen wir die Aufrichtung des Körpers an den Anfang der Workshops. Die Art und Weise, wie sich Becken, Brustkorb, Hals und Kopf uber den Füßen positionieren, hat großen Einfluss auf den Bewegungsspielraum von Kehlkopf, Kiefer und Zunge.

Unsere Arbeit an der Haltung erfolgt dabei aus verschiedenen Perspektiven: Mal ist der Fuß wichtig, mal der Blick, mal die Bewegung; alles hat immer Auswirkungen auf die Gesamthaltung. Die SchülerInnen sollen selbst entdecken: Wie spüre ich den Kontakt meiner Füße zum Boden? Welchen Einfluss hat das auf mein Spielgefühl? Hat das Auswirkungen auf den Klang?

Schon in der Einspielphase arbeite ich daran,Schon in der Einspielphase arbeite ich daran, dass die SchülerInnen gut stehen, ihr Gewicht an den Boden abgeben konnen, was sich auf die Flexibilitat des Oberkörpers, die Lockerheit des Kiefers und damit auf freie Atmung und Klangentfaltung auswirkt. „Alle stehen beim Spielen nur auf einem Bein“,lautet die Spielregel. Das macht Spaß, sorgt aber vor allem dafur, dass die SchülerInnen sehr gut ausbalancieren müssen, um das Gleichgewicht zu halten. Dadurch bekommt ihr Fuß einen besseren Kontakt zum Boden. Wenn sie danach wieder auf zwei Füßen stehen, stehen sie nach eigener Aussage „besser auf den Beinen“.

Durch Fragen lenke ich die Wahrnehmung der SchülerInnen immer wieder auf das, was es zu entdecken gilt. Welchen Teil des Fußes spürt ihr am deutlichsten? Ist es bei beiden Füßen gleich? Hat sich beim Spielen etwas verändert? Wie klingt euer Ton jetzt? Die SchülerInnen erleben, dass ihr Spiel leichter und klangvoller wird, wenn sich Stand oder Körperhaltung positiv verändern. „Es geht leichter von den Lippen“, „Der Ton ist klarer und freier“, lauten die Kommentare. Das sind sehr nachhaltige Erfahrungen. Wenn es nötig ist, genugt im Unterricht spater meist nur noch ein: „Spür mal, wie deine Füße auf dem Boden stehen“, und die Haltung der SchülerInnen verändert sich.

FREIER BLICK – Freies Spiel

In einer Vorspielsituation machen alle noch einmal ganz andere Erfahrungen mit dem Thema Haltung, und zwar im Zusammenhang mit dem Blick. Das Spiel eines Schülers will nicht richtig losgehen, er bricht ein paar Mal ab. Wir fordern ihn daraufhin auf, sein Stück auswendig zu spielen. Auf einmal läuft es, alle Blockaden sind weg! Der fixierte Blick auf den Notenstander hatte zur Folge, dass die Haltung des Schülers ebenfalls fixiert war. Wenn die Augen aber beweglich sind, wirkt sich das direkt auf die Beweglichkeit des Körpers aus und damit auf die Leichtigkeit des Spiels. Das hängt damit zusammen, dass die Augenmuskeln direkt mit der Halsmuskulatur und mit Mund und Kiefer verbunden sind und damit Einfluss auf die gesamte Körpermuskulatur haben.

Alle SchülerInnen haben nun Gelegenheit auszuprobieren, was sich verändert, wenn sich ihr Blick beim Spielen verändert: aus dem Fenster, zur entgegengesetzten Wand im Raum… Ist es egal, wohin ich schaue, wie weit ich schaue und wie verändert sich dadurch mein Spielgefühl? Die Erfahrungen, wie das Blasen jetzt freier wird und leichter geht, können sie jederzeit mit an den Notenständer nehmen und versuchen, das erlebte Spielgefuhl beim Spiel nach Noten wieder zu erreichen.

Feldenkraislektionen

Nach diesem Einstieg machen die SchülerInnen erste Erfahrungen mit Feldenkrais. Sie arbeiten weiter an ihrer Haltung, diesmal jedoch ohne Instrument. Thema ist der Vierfüßlerstand. Diese Lektion fuhrt zu einem gut ausbalancierten Stand und wirkt sich auf die Flexibilitat des Oberkörpers aus. Die Aufgabenstellungen lauten z. B.: auf allen Vieren einen Katzenbuckel machen; eine Hand und ein Knie gleichzeitig heben – Wie macht ihr das? Welche Moglichkeiten gibt es? Wohin schaut ihr? –; und schließlich loskrabbeln oder im Barengang laufen. In den Ruhephasen dazwischen können sie liegend unterschiedliche Atemräume erspüren. Beim Aufrichten des Körpers zum Schluss nehmen alle die Trompete mit in den Bewegungsablauf der Aufrichtung hinein. Beim anschließenden Spielen ist ihr Blick darauf gerichtet, ob sie jetzt etwas anders machen oder ob es andersklingt als zuvor.

Ausdrucksmöglichkeiten entdecken

Um musikalische Sachverhalte zu entdecken, greifen wir die Bewegungsidee von Bär und Katze aus der Feldenkraislektion wieder auf.Die SchülerInnen sollen wie Bär und Katze laufen und ausprobieren, wie sie eine kleine Melodie auf der Trompete spielen wurden, um einen Bären darzustellen. Je ein Schüler spielt die Melodie nach seiner Vorstellung und versucht, die MitschülerInnen dazu zu animieren, sich wie ein Bär zu bewegen. Anschließend überlegen alle gemeinsam, welche Mittel sie dazu genutzt haben. „Laut, breit und gestoßen“, lauten die Antworten,die Artikulationszeichen fur forte und tenutowerden an die Tafel geschrieben. Natürlich suchen wir auch musikalische Ausdrucksmoglichkeiten für die Katze, und die SchülerInnen haben noch weitere Tierideen: eine trippelnde Maus – staccato, piano, schnellere Notenwerte – oder eine Schlange,die durch ein Glissando dargestellt wird. Da die SchülerInnen zunächst körperlich erleben können, wie sich z. B. Staccato oder Tenutoanfühlen, bekommt ihr Spiel eine andere Qualität. Was sie spüren, können sie musikalisch überzeugender ausdrücken. Zum Abschluss noch ein Ratespiel: Zwei SchülerInnen sprechen sich ab, spielen nacheinander unterschiedliche Tiere vor, die anderen müssen raten welche es sind….

BEWEGUNG – Schlüssel zur Entwicklung

Bewegung spielt in unserer Arbeit eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Ansatz und Spielgefühl, zur Anregung des musikalischen Ausdrucks und bei Wahrnehmungsübungen zur musikalischen Kommunikation.Beim Musizieren im Ensemble überraschen unsere Schüler uns mit der Idee, die musikalische Form einer Fanfare, die sie gemeinsam einstudieren, in Bewegung umzusetzen.

Der Gedanke entsteht wahrend der Feldenkraislektion, bei der die Kinder Kommunikation beim Auf-und-miteinander-Reagieren körperlich erleben konnen. Sie liegen nebeneinander auf ihren Matten und rollen sehr langsam von einer Körperseite auf die andere. Nachdem jeder die Bewegungsabläufe des Rollens von einer Seite auf die andere zuerst fur sich langsam und sorgfaltig ausgeführt hat, geht es darum, die Bewegungsabläufe im Ensemble gut aufeinander abzustimmen. Die Bewegung soll wie ein Domino weitergegeben werden, mal accelerando, mal ritardando. Da heißt es spüren, was der andere will, und reagieren. Als nachstes sollenalle die Bewegungen synchron ausführen. Nach und nach pendelt sich die Geschwindigkeit der Bewegungen ein, die Gruppe findet ein gemeinsames Tempo.

Und plötzlich beginnen unsere Schüler darüber zu diskutieren, wie es denn aussehen würde, wenn sie die Fanfare in Bewegung umsetzen. Die Fanfare ist als Echo komponiert, immer zwei Stimmen spielen gemeinsam. So führen zwei Spieler gleichzeitig die Bewegungen aus, wahrend die beiden anderen warten, bis sie mit ihrem Einsatz an der Reihe sind. Am Schluss, wenn immer eine Stimme nach der anderen dazukommt, bis alle vier Stimmen gemeinsam spielen, werden die Bewegungen entsprechend gestaltet. Mit ihrer Bewegungsidee machen die Schüler die musikalische Form der Fanfare sichtbar und schulen ihre Fähigkeit, die anderen wahrzunehmen und zu reagieren. Das hilft ihnen sehr fürs anschließende Spielender Fanfare im Ensemble.

Einschränkende Muster durchbrechen

Bewegung ist auch eine große Hilfe, um ein Fest-Werden zu verhindern, einschränkende Bewegungs- und Haltungsmuster zu durchbrechen oder sie gar nicht erst entstehen zulassen. Außerdem regt sie auf ganz natürliche Weise die Atmung an. Einer zu hohen Muskelanspannung, die sich negativ auf die an Atmung und Artikulation beteiligte Muskulatur auswirkt, kann man deshalb mit Bewegung gut entgegenwirken.

Zum Abschluss steht die Sonatine von Bohuslav Martinu im Mittelpunkt unserer Arbeit – und damit das Thema Zungentechnik. Das Spiel eines Schülers ist nicht flüssig, die Zunge lauft nicht und er kann die Luft beim Stoßen nicht gut fließen lassen. Um Leichtigkeit und Flüssigkeit beim Spielen zu erreichen, sind kleine Zungenbewegungen in Verbindung mit der kontinuierlich fließenden Luft notwendig. Deshalb sollen alle Schüler die Luft im Rhythmus der zu spielenden Stelle ausblasen und dabei vorwärts gehen. Die Bewegung verhindert, dass Zunge und Luft festgehalten werden, und unterstützt die Vorstellung der kontinuierlich fließenden Luft. Diese übung führt zu einem deutlich flüssigeren Spiel. Und wie die Flexibilitat der Zunge mit der Beweglichkeit des Beckens zusammenhangt, damit können sich die Schüler in der anschließenden Feldenkraislektionbeschäftigen.

Ein Thema immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, ermöglicht unseren SchülerInnen eine besonders intensive Auseinandersetzung mit den Lerninhalten und führt zu vielen Aha-Erlebnissen.

Miteinander Erfahrungen machen, Sachverhalte erforschen, sich austauschen, Impulse durch die Ideen der MitschülerInnen bekommen – so ist Lernen lebendig und macht Spaß, nicht nur meinen SchülerInnen, sondern auch mir selbst. Es macht mir Freude, mir motivierende Zugangswege auszudenken, meine SchülerInnen zu inspirieren, sie beim Erkunden des Weges zu begleiten und ihnen bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten behilflich zu sein. Immer nach dem Motto:

Lernerlebnisse schaffen, Entdeckerlust wachhalten und Vertrauen in die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler haben!

Originalversion >

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